Transport nach Riga am 15. Dezember 1941

Der Transport nach Riga am 15. Dezember 1941

Der Transport nach Riga nimmt seinen Anfang mit einem Befehl vom 24. Oktober 1941, in dem wird angeordnet, dass in der Zeit vom 11. November 1941 bis 4. Dezember 1941 50.000 Juden "in die Gegend um Riga und um Minsk" zu deportieren sind. Neben Hannover wurden auch Berlin, Hamburg, Dortmund, Münster, Köln, Frankfurt am Main, Kassel, Stuttgart, Nürnberg, München, Wien, Breslau, Prag und Brünn als Ausgangspunkte der verschiedenen Transporte genannt. Durch organisatorische Probleme müssen die Transporte um drei Wochen verschoben werden.

Trotz aller Verzögerung wurden die 1000 hannoverschen Juden am 14. Dezember 1941 mit Lastwagen aus ihren Unterkünften abgeholt und zum Sammellager der Gartenbauschule Ahlem gebracht. Von diesem Transport waren Pattenser Juden nur betroffen, soweit sie in einem "Judenhaus" in Hannover untergebracht waren. In Ahlem mussten sie dann eine Nacht zusammengedrängt in einer Turnhalle verbringen. Wiederum mit Lastwagen wurden die Menschen dann am Morgen des 15.12.41 zum Lindener Bahnhof Fischerhof gefahren.

 

Wie schrecklich diese Fahrten in Richtung Osten gewesen sind, beschreibt Jeanette Wolff die am 25.1.42 von Dortmund nach Riga deportiert wird.

"Am 25. Januar 1942 um vier Uhr morgens wurden wir auf Umwegen zur Nordseite des Bahnhofs gebracht, in ausrangierte, total verschmutzte 4.-Klasse-Wagen verladen, deren Toiletten bis oben vollgefroren waren; Waggons, die nicht einmal mehr für den Truppentransport brauchbar waren. Aufeinandergepfercht hockten wir in diesen ungeheizten Wagen; nur der sogenannte Sanitätswagen und die Waggons für die begleitende Feldgendarmerie und Gestapoleute waren geheizt..."

 

Während der Fahrt wurde der Gepäckwagen kurz vor der Reichsgrenze bei Königsberg abgehängt,

 

"...so dass wir praktisch nur noch das besaßen, was wir, in Rucksäcken verpackt, bei uns trugen, und dass, was wir auf dem Leib hatten. Es war ein außergewöhnlich kalter Winter; unterwegs erfroren schon einige ältere und kranke Leute. Es lag sehr hoher Schnee. In den ungeheizten Waggons eingeschlossen ohne irgendetwas Warmes, ohne Verpflegung und die Möglichkeit, unsere Notdurft zu verrichten, fuhren wir fünf Tage und Nächte. Als wir die Begleitmannschaften baten, austreten zu dürfen, mussten in jedem Waggon die Aborte mit den Händen ohne Werkzeug gesäubert werden. Das war, abgesehen von dem aufsteigenden Ekel, in der bitteren Kälte eine furchtbare Aufgabe. Man ließ schließlich nach langem Bitten aus jedem Waggon einige Leute nach Wasser gehen -wir waren fast verdurstet-, dann durften wir uns für fünf Minuten draußen im Schnee notdürftig säubern und austreten. Männlein und Weiblein gemeinsam, für die Frauen und Mädchen eine schreckliche Angelegenheit. Ging`s der SS nicht schnell genug, gab es auch Kolbenhiebe."

 

Und dann die Ankunft in Riga:

 "Mit Peitschen und Ruten wurden wir von SS-Leuten aus dem Wagen getrieben. Steif vom tagelangen Sitzen, eng aneinandergepfercht, waren die Menschen kaum mehr in der Lage, von den hohen Trittbrettern des Waggons herabzuspringen. Sie wurden hinuntergestoßen, getreten, geschlagen. Man hörte nur noch das Schreien der SS, das Klatschen der Schläge, das Wimmern der Getroffenen. Das wenige von unserer Habe, das wir in Rucksäcken und Handgepäck bei uns trugen, wurde uns unter Schlägen abgenommen oder fallengelassen, wenn scharfe Hiebe mit Ruten, Peitschen oder Gummiknüppeln die tragenden Hände trafen.
Große Schlitten, die wie Flöße aussahen, standen etwas abseits bereit. Der Zweck dieser Schlitten wurde uns klar, als die SS allen Gehbehinderten befahl, darauf Platz zu nehmen. Wir wollten bei unseren Peinigern an etwas Menschliches glauben, doch dann sahen wir, wie ein etwa 10jähriger Junge, der etwas lahmte, roh von der Hand seiner Mutter gerissen und auf den Schlitten geworfen wurde. Die Schlitten wurden in den nahen Wald gefahren, und bald hörten wir die Schüsse, die das Leben der Unglücklichen beendeten."

 

Ein weiterer Zeitzeuge ist Siegfried Weinberg aus Münster, der am 11.12.41 nach Riga deportiert wurde. Er beschreibt die Zustände im Lager Skirotawa bei Riga:

 "Im Ghetto waren schon vor uns Transporte aus Deutschland eingetroffen.... Am 18.Dezember waren... die ersten Todesopfer zu beklagen.... Der SD drang in die Wohnungen ein, durchsuchte die Wohnungen und prügelte die Männer, die nicht schnell genug auf irgendeine Frage antworteten. In dem Haus in dem ich wohnte, wurden zwei Männer vom SD erschossen. Zwei Schüsse fielen, und am anderen Morgen fanden wir die Leichen der Männer, durch Genickschuss getötet, vor dem Haus. Am 22.12.41 wurde ich dann mit 500 anderen Männern aus den Transporten Münster, Bielefeld, Osnabrück und Hannover nach Salaspils geschickt."

 

Diese Aussage von Siegfried Weinberg ist ein Indiz dafür, dass der aus Hannover abgefahrene Transport auch das Lager Skirotawa als Zielort hatte. Der hannoversche Transport muss, wenn man eine Fahrtzeit zwischen 46 - 60 Stunden zugrunde legt, am 17.12.41 in Skirotawa eingetroffen sein. Ob aber alle bis ins Lager gekommen sind, muss offen bleiben, denn lettische Eisenbahner berichten, dass ein Teil gleich nach der Ankunft auf dem Rangierbahnhof Skirotawa erschossen worden ist, wo noch heute die Leichen in Massengräbern unter den Gleisen liegen.

 

Siegfried Weinberg berichtet weiter über das Lager Salaspils:

"...Die zweite Baracke, in die wir einziehen sollten, war noch nicht ganz fertig, als wir ankamen, das Dach noch nicht abgedeckt, die Fenster und Türen fehlten. Das Holz nass, unsere Decken vom stundenlangen Regen ebenfalls nass, Verpflegung gab es nicht. Es war einfach trostlos.... Die hygienischen Verhältnisse waren menschenunwürdig. Ohne Mantel und Schuhe in der Baracke sich aufzuhalten, war unmöglich, da in der Baracke eine Temperatur von 1-2 Grad war.... Das ganze Lager war durch Ungeziefer verseucht. Ruhr und Hungertyphus rasten durch das Lager und forderten viele Opfer. Wie lebende Leichen, nur noch ein menschenähnliches Knochengestell, wanderten die Männer durchs Lager.... Wagte es jedoch einer, sich wenige Minuten zu erholen und zu verschnaufen, so fuhr unbarmherzig der Knüppel des Kommandanten oder eines Posten auf ihn nieder... Am 2.1.42 wurden die ersten zwei Jungen im Alter von 17 Jahren durch Genickschuss erschossen. Wir mussten alle antreten, und man ließ uns bei 20 Grad Kälte zwei Stunden lang ohne Bewegung stehen. Dann erst nahm man die Erschießung vor.... Die beiden Opfer, die wegen Fluchtversuchs erschossen wurden, ließ man, um sadistischer und grausamer zu sein, eine Stunde lang, nur mit einer Hose und einem Hemd bekleidet, mit gefesselten Armen draußen stehen, bis sie blaugefroren waren. Dann wurden die beiden Jungen unter dem Befehl des Kommandeurs des SD, SS-Obersturmbannführer Dr. Lange, von dem Schießkommando der lettischen Gestapo, Kommando Arajs, erschossen... Durchschnittlich 1500-1800 Männer bildeten die Gesamtstärke des Lagers. Die entstehenden Verluste... wurden durch 14tägliche Nachschubtransporte aus dem Ghetto (Riga, D.A.) aufgefüllt."


Pattenser Juden die am 15. Dezember 1941 von Hannover nach Riga deportiert worden sind:

Name: Vorname: geboren: ermordet in:
Blumenthal Hanna 01.08.1898 ungeklärt
Blumenthal Oskar 21.04.1891 Riga
Frank Ella 22.07.1876 Riga
Hirschberg Karl 31.01.1909 Riga
Hirschberg Rena 12.05.1904 Riga
Meinrath Erich 19.11.1882 Riga
Mendel Hans 29.12.1906 Riga
Moses Hedwig 08.10.1893 Riga
Neufeld Albert 09.11.1884 Riga
Neufeld Sophie 20.01.1878 Riga
Oppenheimer Alice 31.10.1899 Riga
Reichenbach Bertha 26.02.1864 ungeklärt
Reichenbach Frieda 30.04.1894 Riga
Reichenbach Karl 25.06.1892 Riga
Samuel Max 12.04.1897 Riga
Schürmann Marga-Siddi 16.03.1909 Riga
Wertheim Elli 06.07.1889 ungeklärt
Wertheim Erich 27.02.1897 Riga
Wertheim Gertrud 21.09.1897 Riga