Die Zeit von 1939 bis zu den ersten Deportationen

Die Zeit von 1939 bis zu den ersten Deportationen

Anfang 1939 waren die Maßnahmen zur "Entjudung der deutschen Wirtschaft" so gut wie abgeschlossen. Von den ehemals 100.000 jüdischen Betrieben waren rund 60.000 arisiert worden. Am erfolgreichsten war die Ausschaltung der Juden aus dem Einzelhandel. Von den ehemals 50.000 Geschäften waren nur noch 9.000 übriggeblieben. Durch all die Maßnahmen zur Verdrängung aus der Wirtschaft stieg natürlich auch die Arbeitslosigkeit unter der jüdischen Bevölkerung rapide an. Waren es Ende 1937 noch 30.000, waren es Anfang 1938 schon 120.000.

Diese arbeitslosen und zum größten Teil schon verarmten Juden drohten dem Deutschen Reich zur Last zu fallen. Die Nazis nahmen der Gesellschaft diese Bürde aber ab, indem sie die arbeitslosen Juden in privaten und öffentlichen Unternehmen, abgesondert von den anderen Arbeitern, zwangsarbeiten ließen. Im Laufe der Zeit, insbesondere nach Kriegsausbruch, wurden immer mehr Juden gezwungen, sich zu diesen Arbeiten zu melden.
Bis März 1941 war der Arbeitseinsatz nur für arbeitslose Fürsorgeempfänger verpflichtend. Am 4.März 1941 ordnete der Reichsarbeitsminister Seldte den zwangsweisen Arbeitseinsatz aller arbeitsfähigen Juden an. Der Lohn, den sie für ihre Arbeit bekamen, war meist um die Hälfte weniger als der eines vergleichbar beschäftigten Ariers.
Unter diesen Umständen änderte sich auch die Aufgabe der Reichsvertretung grundlegend. Sie musste von ihren ursprünglich, beratenden und betreuenden Aufgaben ablassen und sich vor allem der Aufgabe widmen, ihre Mitglieder physisch am Leben zu erhalten.

 

Die Ghettoisierung der Juden in Judenhäusern in Hannover

 In der von Hermann Göring am 12.11.39 einberufenen Sitzung wurde unter anderem, wie bereits erwähnt, auch noch die Frage der räumlichen Isolierung der Juden erörtert. Göring vertrat hierzu die Ansicht: "dass man nicht darum herumkomme in ganz großem Maßstab in den Städten zu Ghettos zu kommen. Die müssen geschaffen werden." Reinhard Heydrich, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) entgegnet dazu:

"Das Ghetto in der Form vollkommen abgesonderter Stadtteile, wo nur Juden sind, halte ich polizeilich nicht für durchführbar. Das Ghetto, wo der Jude sich mit dem gesamten Judenvolk versammelt, ist in polizeilicher Hinsicht unüberwachbar. Es bleibt der ewige Schlupfwinkel für Verbrechen und vor allen Dingen von Seuchen und ähnlichen Dingen. Heute ist es so, dass die deutsche Bevölkerung - wir wollen die Juden auch nicht in demselben Haus lassen - in den Straßenzügen oder in den Häusern den Juden zwingen, sich zusammenzunehmen. Die Kontrolle des Juden durch das wachsame Auge der gesamten Bevölkerung ist besser, als wenn Sie den Juden zu Tausenden und aber Tausenden in einem Stadtteil haben, wo ich durch uniformierte Beamte eine Überwachung des täglichen Lebenslaufes nicht herbeiführen kann."

 

Aufgrund dieser Besprechung wurde das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden erarbeitet und trat am 30.4.1939 in Kraft. Dieses war die Grundlage für die spätere Ghettoisierung.
Im März 1941 wurde auf Anordnung des Gauleiters Lauterbacher in Hannover von dem Regierungspräsidenten, der Stadtverwaltung und der Gestapo die Planung zur "Freimachung" jüdischer Wohnhäuser und Mietwohnungen vorgenommen und die Einrichtung von "Judenhäusern" beschlossen. Daraufhin wurden insgesamt 16 Häuser in Hannover als"Judenhäuser" genutzt. Ich werde mich in dieser Arbeit auf die "Judenhäuser" beschränken in die unter anderen auch Juden aus Pattensen eingewiesen wurden.
Die Einweisung der Opfer in die einzelnen Häuser ging folgendermaßen vor sich. Zuerst bekamen sie völlig unvorbereitet, im Laufe des 3.9.1941, den Befehl, ihren Wohnraum sofort zu räumen. Wie Marlis Buchholz in ihrem Buch schreibt, wurde auf Bitten der Betroffenen die Frist um 24 Stunden verlängert. Die Opfer hatten also kaum 24 Stunden Zeit, um die notwendigsten Gegenstände zusammenzupacken und für den Abtransport ins "Judenhaus" bereitzustellen.
So wurden über 1.000 der ungefähr 1.600 noch in Hannover lebenden jüdischen Mitbürger gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen und in eines der 16 "Judenhäuser" zu ziehen.
In diesen Häusern herrschten unmenschliche Zustände. Eine Zeitzeugin, die in der Bergstraße 8, der alten Synagoge, einquartiert worden war, erinnert sich:

"... Es lagen dort weit über 100 Menschen. Genau kann ich die Zahl nicht mehr schätzen. Ich weiß nur noch, dass Bett an Bett bzw. Liegestatt neben Liegestatt war. Ein Teil der dort Untergebrachten hatte nur Matratzen mitgebracht. Die Belegung war so eng, dass zwischen den einzelnen Liegestätten nur vereinzelt ein schmaler Gang blieb und die übrigen Untergebrachten über die Betten ihrer Nachbarn zu ihren Betten klettern mussten. In dem Raum war auch eine Galerie, die ebenfalls belegt war. Von dort konnte man alles beobachten, was unten vor sich ging. Es waren Männer, Frauen und Kinder, alles durcheinander untergebracht. Die sanitären Verhältnisse spotteten jeder Beschreibung."

Ein anderer Zeitzeuge über die Verhältnisse in der Bergstraße 8:

"Gekocht wurde gemeinschaftlich. Ich glaube in der Waschküche. Für Tische und Stühle war kein Platz vorhanden. Das ganze Leben spielte sich auf den Betten ab. Die Stimmung unter den dort Untergebrachten war dementsprechend verzweifelt. Es kamen auch mehrere Selbstmorde vor."