Die Reichspogromnacht

Die Reichspogromnacht

Am 28. und 29. Oktober 1938 wurden ca.18.000 Juden polnischer Staatsangehörigkeit im ganzen Reich von der Gestapo verhaftet und kurze Zeit später über die polnische Grenze abgeschoben. Die Gestapo handelte bei dieser Aktion im Auftrag des Auswärtigen Amtes, welches durch Maßnahmen der polnischen Regierung alarmiert worden war. Die polnische Regierung drohte allen im Ausland lebenden polnischen Juden, die Staatsangehörigkeit und damit die Möglichkeit der Rückkehr nach Polen zu nehmen. Deshalb wollten die deutschen Behörden die polnischen Juden loswerden, bevor sie ihre Staatsbürgerschaft verlieren.

Die Juden wurden per Lastwagen und Eisenbahn an die polnische Grenze gebracht, wo sie, weil die polnische Regierung die Grenzen zunächst geschlossen hielt, unter erbärmlichen Verhältnissen tagelang im Niemandsland zwischen Deutschland und Polen umherirren mussten. Zu diesen gehörten auch 484 in Hannover verhaftete Juden. Unter ihnen waren auch die Eltern des 17 jährigen Herschel Grünspan, der am 7.11.1938 in Paris ein Attentat auf den dortigen deutschen Gesandschaftsrat Ernst vom Rath verübte. Er starb am 9.11.1938 nachmittags an den Folgen des Attentates. Als Grund für die Tat gab Herschel Grünspan später an, dass er seine Tat nur aus Vergeltung für das Unrecht verübt habe, das seinen Eltern angetan worden war.

Bei dem Kameradschaftsabend der NS-Parteiführer und "Alten Kämpfer", der zur Erinnerung an den misslungenen Hitlerputsch am 9.11.1938 in München stattfand, gab Goebbels den Tod von Ernst vom Rath bekannt. Im Anschluss daran hielt Goebbels eine hetzerische Rede, in der er auf die ersten Ausschreitungen gegen Juden in den Gauen Kurhessen und Magdeburg - Anhalt hinwies und anfügte:"Der Führer habe auf seinen Vortrag entschieden, dass derartige Demonstrationen von der Partei weder vorzubereiten noch zu organisieren seien, soweit sie spontan entstünden, sei ihnen aber auch nicht entgegenzutreten."

Die anwesenden Parteiführer verstanden die Rede so:"dass die Partei nach außen nicht als Urheber der Demonstrationen in Erscheinung treten, sie in Wirklichkeit aber organisieren und durchführen sollte." Die so Angesprochenen reagierten wie gewünscht. Zwischen 22.30 und 24 Uhr gaben die Parteiführer ihre Befehle per Telefon oder Fernschreiben an ihre Heimatdienststellen durch.

Fernschreiben des Gestapo-Chefs Müller an alle Stapo- und Stapoleitstellen vom 9.11.1938:

  1. Es werden in kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden, insbesondere gegen deren Synagogen stattfinden. Sie sind nicht zu stören. Jedoch ist im Benehmen mit der Ordnungspolizei sicherzustellen, dass Plünderungen und sonstige besondere Ausschreitungen unterbunden werden können...
  2. Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa 20.000 bis 30.000 Juden im Reiche. Es sind auszuwählen vor allem vermögende Juden...
  3. Sollten bei den kommenden Aktionen Juden in Besitz von Waffen angetroffen werden, so sind die schärfsten Maßnahmen durchzuführen...
Anweisungen, Aktionen gegen Juden einzuleiten und Synagogen anzuzünden, erhielten auch die Ortsgruppenleiter der NSDAP von ihren Kreisleitungen.

Durch die Rede von Goebbels, die wie ein "Startzeichen" für das Pogrom anzusehen ist, begann sofort in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 die sogenannte "Reichskristallnacht" und ging am 11. November 1938 zu ende.

Im ganzen Reich wurden von SA-Männern und Parteimitglieder Synagogen angezündet, soweit keine nebenstehenden Häuser von Ariern gefährdet waren. Sie demolierten jüdische Geschäfte und teilweise auch die Wohnungen der Juden. Die SA ging mit hemmungsloser Brutalität auch gegen Juden selber vor; es wurde keine Rücksicht auf Alter und Geschlecht genommen. Auch vor Mord und Vergewaltigung schreckten die Schergen der SA nicht zurück. In der Pogromnacht wurden 91 jüdische Menschen grundlos ermordet.

Die Angaben über die Zerstörungen in der "Reichskristallnacht" schwanken. Es waren um die 400 Synagogen, die in Flammen aufgingen, mehr als 70 wurden darüber hinaus völlig demoliert. 7500 jüdische Geschäfte wurden zerstört oder geplündert, sowie 171 Wohnhäuser verwüstet.
Die Zerstörung jüdischen Eigentums war eine Seite des Pogroms, eine zweite war die Verhaftung zahlreicher männlicher, hauptsächlich vermögender Juden, aber auch Lehrlinge, Arbeiter und Landwirte waren unter den Verhafteten. Die Verhaftungen wurden ohne Rücksicht auf das Alter durchgeführt. Neben zehnjährigen Knaben sah man siebzig- bis achtzigjährige Greise. Die ca. 30000 Verhafteten wurden in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald verschleppt, in denen sie dann der grausamen Behandlung der SS-Wachmannschaften ausgesetzt waren. Viele von ihnen starben an den Misshandlungen.

Der wohl wichtigste Teil des Novemberpogroms war die Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben. Sie wurde aufgrund von Gesetzen und Verordnungen geregelt.
Als erstes wurde den deutschen Juden eine "Sühneleistung" von 1 Milliarde RM auferlegt, des weiteren mussten sie ihren, durch den Pogrom entstandenen Schaden selbst bezahlen und die von den Versicherungsgesellschaften gezahlten Entschädigungen dem Reich zurückerstatten. Außerdem wurde die Zwangsarisierung aller jüdischen Geschäfte und Betriebe angeordnet.
Das öffentliche Leben des deutschen Judentums kam nach dem Novemberpogrom durch die nachfolgenden einschränkenden Verordnungen völlig zum Erliegen. Das freie Leben der Juden war damit endgültig zu Ende. Der Anfang vom Untergang hatte begonnen.

Die Reichspogromnacht in Pattensen

In Pattensen war es ähnlich wie im Reich. Zwar wurde hier die Synagoge nicht niedergebrannt, weil ein angrenzendes Haus einem Arier gehörte, und die Gefahr bestand, dass es auch Feuer fing. Wie aber der Zeitzeuge Fritz S. berichtet, wurde die Inneneinrichtung sowie die Fenster von SA-Männern vollständig demoliert. Dies geschah in der Nacht zum 10. November 1938. Am Morgen des 10. November wurde beobachtet, wie die jüdischen Männer dazu gezwungen wurden, ihre heiligen Thora-Rollen auf der Straße vor der Synagoge auszurollen und zu zerstören. Auch die jüdischen Friedhöfe blieben nicht verschont,die Grabsteine wurden teilweise zerstört und umgekippt. Die Fenster der Häuser, in denen Juden lebten, wurden mit Steinen eingeworfen und ihre Bewohner beschimpft.

Am 12.11.38 mussten dann die jüdischen Männer die Scherben und anderes, was auf der Straße lag, wieder beseitigen.

Während der Nacht zum 10. November wurden auch in Pattensen 10 jüdische Männer in sogenannte "Schutzhaft" genommen. Sie wurden mit den anderen 324 in Hannover und Umgebung verhafteten Juden ins Polizeigefängnis Hannover in der Hardenbergstraße sowie in die Turnhalle der ehemaligen Kriegsschule gebracht. Am 11. November morgens um 6.15 Uhr mussten dann 275 von ihnen, von Polizisten bewacht, zum Hauptbahnhof marschieren. Von dort wurden sie dann mit dem Zug ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt.


Pattenser Juden die während der Reichspogromnacht
verhaftet wurden
Name Alter Beruf
Albert Schürmann 55 Schlachter
Walter Schürmann 17 Autoschlosser
Emil Hirschberg 59 Arbeiter
Oskar Hirschberg  28 Schlachter
Harry Wertheim 55 Bürstenmachermeister
Kurt Wertheim 24  
Albert Neufeld 54 Elektriker
Wilhelm Elias 43 Schlachter
Otto Lüder 29 Arbeiter
Alfred Moses 42 Schlachter

Dort angekommen, wurden sie gleich mit eisernen Ruten, Peitschen und Knüppeln misshandelt, so dass in der ersten Nacht gleich 68 Juden wahnsinnig geworden sind. Diese wurden noch in der gleichen Nacht von der SS totgeschlagen. Die das Glück hatten, den ersten Tag zu überleben, wurden zu je 2.000 Mann in Holzbaracken untergebracht, die nur für höchstens 500 Mann gebaut worden waren. Durch diese Überfüllung waren die sanitären Verhältnisse natürlich im Lager unvorstellbar. Was im Winter 1938/39 zu einer Typhusepidemie im Lager führte. In den folgenden Wochen waren diese sogenannten "Aktionsjuden" Opfer von Schikanen, Erpressungen und Quälereien von Seiten der SS-Wachmannschaften, denen Hunderte zum Opfer fielen, wie die folgende Tabelle zeigt.


Anzahl der Häftlinge im KZ Buchenwald Oktober bis Dezember 1938
Zeitraum Durschschnittliche Häftlingszahl Todesfälle
10.10. - 09.11.1938 10.156 53
10.11. - 09.12.1938 17.262 244

Die Häftlingszahlen gingen aber relativ schnell wieder zurück, da von den 9.828 nach Buchenwald verschleppten "Aktionsjuden" 9.374 schon bis Ende Januar 1939 wieder entlassen waren. Unter ihnen waren auch die Pattenser Juden. Zwei starben noch im Laufe des Jahres 1939, höchstwahrscheinlich an den Folgen des KZ Aufenthaltes.